Interview in der Zeitung junge Welt am 23. September 2003:
Menschenrechte in Chiapas: Militär gegen Selbstverwaltung?
jW sprach mit Markus Pflüger, Referent bei der AG Frieden in Trier, Interview: Ralf
Streck
F: Sie waren als Menschenrechtsbeobachter im südmexikanischen Chiapas mit einer
Delegation des Berliner Vereins Carea e.V. Was war Ihre Aufgabe?
In Chiapas organisieren verschiedene indigene Gruppen, geführt von der Zapatistischen Befreiungsfront (EZLN), Widerstand
gegen die neoliberale Globalisierung und für ihr Recht auf Selbstbestimmung. Die mexikanische Regierung
erkennt deren autonome und basisdemokratische Strukturen aber nicht an. Statt
die in einem Friedensvertrag fixierten Rechte der indigenen Bevölkerung umzusetzen, wird die Selbstorganisation durch paramilitärische Gruppen in einem
sogenannten Krieg niederer Intensität bekämpft. Die Präsenz von
Menschenrechtsbeobachtern vor Ort dient daher dem Schutz der aufständischen Gemeinden. Militärbewegungen und Menschenrechtsverletzungen
werden dokumentiert und die internationale Öffentlichkeit informiert.
F: Welche Situation haben Sie vorgefunden?
Neben direkten Übergriffen und
Drohungen von Paramilitärs macht die Militärpräsenz - ein Drittel des mexikanischen Militärs befindet sich in Chiapas - die Menschenrechtslage prekär. Es handelt sich auch um eine psychologische Kriegsführung, die Langzeitfolgen wie Traumatisierungen und die Zerstörung der Sozialstruktur bewirken soll. Dazu gefährden die Folgen der Freihandelsabkommen die Existenz der
Kleinbauern - das Recht auf Nahrung wird ebenso wie ihr Recht auf Land und
Kultur unterminiert. Durch das geplante gesamtamerikanische Freihandelsabkommen
ALCA und den neoliberalen Infrastruktur-Plan Puebla Panama werden die Länder Lateinamerikas weiter ausgeplündert.
F: Im August hat die EZLN eine Art autonome Regierung ausgerufen. Was hat
sich dadurch geändert?
Diese "Räte der guten
Regierung" arbeiten seither in den Caracoles (Muschelhäusern) ehrenamtlich.
Diese direkt gewählten Vertreter beschäftigen sich zum Beispiel mit der Landwirtschaft, dem Gesundheitswesen,
der Erziehung und koordinieren internationale Solidaritätsarbeit. In einigen dieser Regierungssitze gab es Drohungen
durch Paramilitärs, Schüsse fielen, die zum Glück niemanden verletzt
haben. Ich konnte sehen, wie Militärflugzeuge über rebellischen Dörfern kreisten. Die
Lage ist angespannt, denn den Aktivitäten der EZLN folgen meist
derartige Reaktionen. Ich hoffe aber, die internationale Präsenz und Solidarität hilft, dieses
weltweit einmalige Widerstandsprojekt weiter wachsen zu lassen. Es ist eine gelebte
Alternative zur kapitalistischen Verwertungslogik, unter Einbezug globaler
Zusammenhänge, davon kann man
lernen.
F: Während Ihres Aufenthalts
fand im mexikanischen Cancún eine Konferenz der Welthandelsorganisation WTO statt.
Wie sah man das Treffen in Chiapas?
Die Zapatisten und Menschenrechtsorganisationen sahen es natürlich sehr kritisch und wollten das Treffen scheitern lassen,
weil die Pläne der reichen Länder auf der WTO-Konferenz die Existenz der Kleinbauern bedrohen
und einen Ausverkauf des Landes bedeuten. Schon heute erhalten die Bauern
immer weniger Geld für ihre Produkte. Ein
Bauer berichtete mir, er bekomme beim konventionellen Händler nur noch fünf Pesos, ca. 0,50
Euro, für ein Kilogramm
Kaffee, während seine Ausgaben
immer weiter steigen.
Durch unsere finanzielle Unterstützung konnten Vertreter
aus Chiapas nach Cancún
fahren. Ausserdem gab es landesweit dezentrale Proteste. Ich begleitete eine Demonstration
von Bauern in San Cristobal.
Sie besetzten eine Radiostation, damit ihre Erklärung gegen die WTO landesweit gesendet wurde. Freihandel schaffe
keine soziale Gerechtigkeit, sondern erhöhe den Profit der Konzerne und stürze die Länder Lateinamerikas in
eine noch tiefere menschliche und ökologische Katastrophe,
hiess es darin. Für mich war der Einsatz
als Menschenrechtsbeobachter eine lehrreiche Zeit, die zapatistische Selbstorganisation
und ihr anhaltender Widerstand ermutigen für unsere Kämpfe hier vor Ort.
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